Anleitung zum Seiltanz
Alex Lefrank beschreibt im Religiösen Buch des Monats das Weltverhältnis der Christen, das sich auf dem schmalen Grat zwischen In-der-Welt-sein und doch nicht von dieser Welt sein bewegt.
„Entweltlichung“. Mit diesem Stichwort hat Papst Benedikt XVI. während seines Deutschlandbesuchs 2011 eine neue Debatte über das Verhältnis von Kirche und Welt angestoßen. Allerdings blieb weitgehend unklar, was der Papst mit dieser Forderung eigentlich gemeint hat. Wie also steht es um das Verhältnis von Kirche und Welt? Wie viel Weltbezug braucht die Kirche, wie viel verträgt sie? Und wo steht dabei der einzelne Christ? Der Jesuit Alex Lefrank beschreibt in der Reihe „Ignatianische Impulse“, wie der einzelne Christ einen Maßstab für sein Weltverhältnis gewinnen kann. Bei seinem Gedankengang greift er auch auf die Ignatianischen Exerzitien zurück. Doch muss der Leser weder mit diesen Übungen vertraut sein noch die Exerzitien absolvieren, um dieses Buch mit Gewinn zu lesen.
Als Grundlage arbeitet Lefrank zunächst heraus, wie sich das Weltverhältnis in der Bibel darstellt. Das Alte Testament sieht er dabei in der Spannung zwischen einer Welt, die einerseits Gottes gute Schöpfung ist, in der aber andererseits Unrecht herrscht. Mit der Frage, wie das zusammenpasst, ringen viele alttestamentliche Texte. Das Neue Testament löst diese Spannung nicht auf. Jesus verkündet zwar das Reich Gottes, das ein Reich der Gerechtigkeit und der bedingungslosen Liebe ist. Doch dieses Reich ist nicht einfach da. Gott hat es nicht mit Macht durchgesetzt, er will die Herzen der Menschen erobern.
Wer Bürger des Reiches werden will, muss daher umkehren und an das Evangelium glauben (Mk 1,15). Das bedeutet anders zu leben, als es üblich ist, sich z.B. nicht um die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zu sorgen, sondern radikal auf Gott zu vertrauen, seine Feinde zu lieben und Böses mit Gutem zu vergelten.
Christus habe den Christen keinen ausdrücklichen Auftrag hinterlassen, die Welt zu verändern, schreibt Lefrank. Doch wolle er durch den einzelnen Menschen in die Welt hinein wirken. Dazu benötigt der Mensch ein großes Maß an innerer Freiheit, das er aber nur gewinnen könne, so Lefrank, wenn er sich auch der gesellschaftlichen Prägungen bewusst werde, denen er unterliegt.
Mit einigen Impulsen aus den Ignatianischen Exerzitien zeigt Lefrank, wie mehr innere Freiheit zu erreichen ist. Sie ist schließlich die Voraussetzung dafür, wie Christus in der Welt leben zu können. An ihm können die Menschen sehen, wie Gott Menschsein gemeint hat und wie der Mensch in der Welt leben und handeln soll. Auch dazu gibt Lefrank einige Anregungen aus den Exerzitien, die einen Weg zu einem an Christus orientierten Lebensstil weisen.
Lefrank betont schließlich, dass es dem Einzelnen kaum gelingen kann, diesen Weg allein zu gehen, ohne Einbindung in die Gemeinschaft und ohne die Bereitschaft, mit allen Christen gemeinsam den Willen Gottes zu suchen.
Auch wenn Lefrank nicht sagen kann, was der Papst mit „Entweltlichung“ gemeint haben könnte, so trägt sein angenehm zu lesendes Buch doch zur Bewusstseinsbildung bei. Das Leben eines Christen gleicht einem Seiltanz, weil von ihm nicht weniger gefordert wird als das Gleichgewicht zu halten zwischen einem Leben in dieser Welt und der kritischen Distanz zu ihr, die es möglich macht, einen Vorgeschmack des Reiches Gottes zu erleben. Lefranks Buch ist eine Art kurze Anleitung dazu. Christoph Holzapfel/Borromäusverein
Alex Lefrank: In der Welt – nicht von der Welt. Würzburg: Echter 2011. (Ignatianische Impulse, Bd. 52) – 78 S.; 7,90 €. – Dieses Buch kaufen – bei der borro medien gmbh.
(Als „Religiöses Buch des Monats“ benennen der Borromäusverein, Bonn, und der Sankt Michaelsbund, München, monatlich eine religiöse Literaturempfehlung, die inhaltlich-literarisch orientiert ist und auf den wachsenden Sinnhunger unserer Zeit antwortet.)